Den richtigen Ton treffen – für die Autorin Mirsada Simchen-Kahrimanovic

Spätestens seit dem Beginn der Kämpfe in der Ukraine müssen sich viele Menschen in Deutschland von ihrer Vorstellung lösen, dass Krieg zwar etwas Schreckliches sei, dieser jedoch seit langem nur fernab ihrer Heimat stattfindet. Zu präsent sind die Bilder der Gräueltaten, zu nah die betroffenen Regionen an der Grenze Europas. Dabei vergessen viele, dass der letzte Krieg in Europa noch gar nicht so weit in der Vergangenheit liegt: Der Krieg in Bosnien von 1992 bis 1995 war der grausamste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, mit über 100.000 Opfern und 700.000 Menschen auf der Flucht.
Doch trotz dieser Schrecken ist diese Zeit bei vielen leider schon wieder in Vergessenheit geraten.

Gegen dieses Vergessen wendet sich Mirsada Simchen-Kahrimanovic. Die nette Backnangerin, heute erfolgreiche Geschäftsfrau, musste den Beginn des Krieges als 13-jährige miterleben. Der Verlust des Vaters, eine Gefangenschaft im Konzentrationslager und eine Flucht in das zunächst fremde Deutschland prägten das Ende ihrer Kindheit. Heute, fast 30 Jahre nach dem Ende des Krieges, hat Mirsada Simchen-Kahrimanovic ihre traumatischen Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben: „Lauf, Mädchen, lauf ! – Mein Dorf in Bosnien, der Krieg und mein neues Leben“ lautet der Titel des beeindruckenden Werkes, dass seine Ursprünge bereits im Tagebuch der Autorin hatte, welches sie schon nach kurzer Zeit in ihrer neuen Heimat – in deutscher Sprache – begonnen hatte.
Desweiteren auch in grundsätzliche Aussagen im wbg Sachbuch Podcast Folge 52: „Was heißt Krieg?“

_mdp8346b3er

 

Texte und Bilder gegen das Vergessen

Ein wesentliches Anliegen der sympathischen Autorin ist es, jungen Menschen mit ihrer Geschichte vor allem emotional zu erreichen, damit die Geschehnisse in Bosnien nicht in Vergessenheit geraten und vor allem auch dafür, dass zukünftige Ungerechtigkeiten besser erkannt werden und das Verständnis für Menschen auf der Flucht weiter wachsen kann. Um dem Buch und der Geschichte mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, benötigte Mirsada passende Bilder für ihre Social Media Kanäle und die Vermarktung ihres Werkes.
Eine spannende und sicherlich nicht alltägliche Aufgabe, die ich jedoch sehr gerne annahm.

Als Fotograf ist hier eine Fertigkeit ungemein wichtig, die man sonst eher Musikern zuschreibt: den richtigen Ton zu treffen. Schließlich handelt es sich hier um ein Thema, das so fern von der heilen, hochglanzpolierten und glitzernden Welt ist, die ich an anderen Tagen für ganz andere Anlässe inszeniere. Gleichzeitig ist Mirsada Simchen-Kahrimanovic eine starke Frau, die mit ihrer Geschichte nicht nur auf die erlebten Schrecken hinweist, sondern immer auch Mut macht und inspirieren möchte. Bilder, die nur Trübsal und Dunkelheit vermitteln, würden dieser Mission und dieser Energie nicht gerecht werden! Wir fotografierten nach ihren Wünsche und Vorstellungen im hiesigen Esslinger Studio und auf Location.

_mdp0205b3er


30 Jahre in 3 Tagen

Wichtig war es hier vor allem, die Suche nach den passenden Motiven mit der nötigen Ruhe und Geduld anzugehen. Mirsada war da mit ihrem Input und ihrer Vorstellung der zu fotografierenden Bildmotive aus ihren schrecklichen Erfahrungen natürlich bestens vorbereitet und trotz allem hat sie einen lustigen, gefühlvollen Charakter behalten. Es geht hier ja auch um ein Buch, welches über 30 Jahre in der Entstehung war, durch Tagebucheinträge, Gespräche und viele persönliche Reflektionen. Gerade da war es mir vor allem wichtig, eine positive Atmosphäre im Studio zu schaffen, um der Schwere des Themas nicht auch noch eine Schwere der Arbeit vor und hinter der Kamera hinzuzufügen. Dies geht nur durch offenen und kreativen Austausch über Ideen und Motive, ausreichend Pausen und natürlich auch ab und an ein paar Leckereien für den Blutzuckerspiegel. Wer wie Mirsada Simchen-Kahrimanovic jeden Tag mit einer Jogging-Runde beginnt, kann sich das natürlich auch erlauben.

Dass wir am Ende ganze drei Tage zusammen verbracht haben, um die unterschiedlichen Facetten der Autorin und ihrer Geschichte in ausdrucksstarke Bilder zu überführen spricht sicherlich auch dafür, dass es meinem Team und mir durchaus gelungen ist, hier eine passende und angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen… und auch bei solchen Themen gehört Spaß und Harmonie im Studio schon zum selbstauferlegten Pflichtprogramm.

img_3597bblog4er


Eine Balance zwischen Dunkelheit und Hoffnung

An dieser Stelle gebührt Shanice, die sich um Hair & Makeup der Autorin gekümmert hat, auch ein besonderer Dank. Nicht nur für das hervorragende Ergebnis, sondern auch die Bereitschaft, sich auf dieses außergewöhnliche Thema einzulassen. Schließlich soll das Buch zwar junge Menschen ermutigen, beinhaltet aber auch viele Erzählungen und Schicksale, welche einen noch lange nach der Lektüre begleiten.

Mit den Fotos der Autorin haben wir versucht, diese Balance zwischen der Schwere des Erlebten und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der Bildsprache abzubilden. Bilder, die die Autorin in den Mittelpunkt rücken, aber doch auch Raum für ein Thema lassen, das tausende weitere Menschen betrifft. Zudem haben wir die Zeit im Studio auch dafür genutzt, um eine eindringliche Lesung aus ihrem Buch auf Video (Link = out of cam) festzuhalten.
So schwer erträglich das Geschilderte auch ist, bin ich doch froh, dass ich einen kleinen Teil dazu beitragen konnte, dass die Geschichte der Autorin in Zukunft möglichst viele Menschen erreicht.

_mdp7468b3er

 


Wenn ihr diesen Blogeintrag interessant findet, könnt ihr ihn auch gerne teilen, empfehlen und ihn anderen zeigen. Ich danke Euch für Euren Support und bin schon gespannt auf Euer Feedback!

Liebe Grüße und bis zum nächsten Mal,
Michael

Recent Posts

Kommentieren